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Husum, St. Marien-Kirche

Nein. So eine Orgel hätte Nicolaus Bruhns sich niemals gebaut.

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Als der große Organist und Spross einer weitverzweigten Musikerfamilie im Jahre 1697 starb, war Johann Sebastian Bach gerade zwölf Jahre alt. Bruhns "schlug" die Orgel in der alten Marienkirche. Nur wenige, aber glanzvolle norddeutsch-frühbarocke Kompositionen trugen ihm später Weltruhm ein. Doch: Ein Orgelregister wie "Klarinette" war für ihn undenkbar. Dieses Holzblasinstrument war noch nicht erfunden. Nein, so eine Orgel wie die neue Marien-Orgel hätte der Altmeister der Husumer Orgelkunst sich niemals gebaut.

 

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Das Instrument Orgel und die unterschiedlichen und landestypischen Klangkonzepte haben sich in den 320 Jahren nach Bruhns wieder und wieder verändert. Ein Instrument, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts konzipiert wird, sollte stilistisch die Darstellung von Musik verschiedener Epochen zulassen – und noch offen sein für Neues.

 

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Weil aber eine Orgel kein transportables Instrument ist, sondern nur an dem einen Ort, an dem sie errichtet wird, erklingen kann, trägt ein Orgelkonzept im Idealfall grundsätzlich zwei verschiedenen Anforderungen Rechnung: Neben der Frage der möglichen Klangfarben spielen der Raum, die architektonischen Gegebenheiten und die akustischen Möglichkeiten und auch andere Grenzen eine Rolle.

 

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In der Rückführung anhand alter Baupläne hat sich die Husumer Kirchengemeinde entschieden, die Westlünette wieder zu öffnen und sichtbar zu machen und die neue Orgel auf der vorhandenen einjochigen Empore zu platzieren. Somit gelang es, ein größeres Instrument als zuvor auf einer sehr kleinen Empore und Fläche unterzubringen und das architektonische Spiegelbild zur Ostlünette über dem Altar zwischen den beiden großen Orgelflügeln im Westen wieder sichtbar zu machen – eine reizvolle Raumkomposition.

 

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Zugleich knüpft das Auxiliarwerk, das ausschließliche aus Mitteln des Orgelbauvereins finanziert wurde, als Reminiszenz an die allererste Orgel der Marienkirche an. Dieses Echo- oder Fernwerk befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchenraums im rechten Nebenraum der Ostlünette. Kann sich eine Orgel sensibler in einen Kirchenraum einfügen? Kann sie besser die Anfänge des Raumes mit der Gegenwart verbinden?

 

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Und nun fügen sich Raum- und Klangkonzept ineinander: Das große Hauptwerk der Orgel wurde in zwei Corpora (C und Cis-Seite) in die Brüstung der Empore gestellt. Dazwischen steht der Spieltisch, der aber sehr dezent und möglichst klein gestaltet ist und somit den Blick auf die Lünette freigibt. Hinter den Körpern des Hauptwerkes stehen jeweils auf zwei Seiten in eigenen Corpora das Schwellwerk und das Pedal. In der Lünette befindet sich ganz hinten die große Windanlage, und auf dem Boden liegen außerdem die langen Holzpfeifen des Pedals. Das Solowerk mit seinen Klarinetten und dem Horn als drittes Manual befindet sich rechts und links außen. Das vierte Manualwerk (Auxiliar) erklingt von der Gegenseite mit sanften Streichern und einem weiten Horn.

 

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Die zeitliche Klangwelt der neuen Orgel ist das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert. Sie steht in der Klangtradition Norddeutschlands und Skandinaviens, mit leichtem französischem und angelsächsischem Einschlag. Anklänge an die deutsch-dänische Farbenwelt der Marcussen-Orgeln sind unverkennbar – sie gehören zu unserer Tradition. Und doch vermag dieses Instrument mehr, noch farbiger, noch spezieller.

 

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Zehn Jahre haben wir an dem Klangkonzept gearbeitet, es immer wieder verworfen, immer Neues entwickelt. Nun ist ein Instrument konzipiert, auf dem man die Werke der deutschen, skandinavischen, französischen und englisch/amerikanischen Orgelromantik möglichst authentisch darstellen kann. Damit ist das neue Instrument einzigartig und bereichert auf seine Weise auch stilistisch die hiesige Orgel-Landschaft. Meine Freude als hiesiger Organist kennt keine Grenzen!

 

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Und Nicolaus Bruhns? Er lebte in einer anderen Zeit und hatte einen gänzlich anderen Erfahrungshorizont. Was hätte er sich für eine Orgel erdacht? Die Majestät der großen Bach-Praeludien, Toccaten und Fugen, der Klangrausch der französischen Orgelsymphonien und die Majestät englischer Orgelromantik waren ihm ja unbekannt. Ich bin mir sicher: Wäre es ihm bekannt, dann würde mein Vorgänger Bruhns uns das neue Orgelkonzept verzeihen. Wir pflegen seine Tradition selbstredend und lassen seine Werke auch weiterhin in St. Marien erklingen, klanglich nur eben ein bisschen "romantischer", als es der alte Meister sich erdacht hatte.

 

Kai Krakenberg

Organist an St. Marien und Kantor der Kirchengemeinde Husum

 

 

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