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50 Jahre Klais-Orgel in der Kreuzbergkirche in Bonn

Ein Kleinod in der Bonner Orgel-Krone feiert Goldenes Jubiläum

_klais/bilder/fotos/Artikel/Kreuzberg/Kreuzberg1.JPGFotos: Heiner Lauer

Die Orgel der Wallfahrtskirche auf dem Kreuzberg zu Bonn

von Hans Steinhaus

Die Geschichte einer Orgel ist in aller Regel auch die Geschichte ihrer Veränderungen, und die hier anstehende Orgel der Bonner Kreuzbergkirche bildet keine Ausnahme: Sie hat im Laufe von nahezu drei Jahrhunderten tiefgreifende klangliche und technische Umwandlungen erfahren, während sich gottlob ihre Schauseiten – die „Prospekte“ – als fest-variable Größen bis heute behaupten. Im Folgenden geht es […] um die heutige Orgel, eine zweite aus der Bonner Werkstatt Klais, erbaut 1969 […].

1969

In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts muss die Orgel von Johannes Klais aus dem Jahr 1902 aufgegeben werden. Sein Enkel Hans Gerd Klais plant einen Neubau und erarbeitet 1969 eine grundlegend neue Disposition, die, nach seinen eigenen Worten, dem „chorischen Prinzip“ entspricht. Diesem Dispositionsgrundsatz zufolge sind „innerhalb eines jeden Teilwerks möglichst gleiche Bauformen zu Chören zusammenfasst“; im Blick auf die Geschichte der Kreuzbergorgel finden zudem noch einige Anlehnungen an rheinisch-barocke Praxis Eingang in das Klangkonzept. Insgesamt zielt die Disposition ab auf eine möglichst stilgetreue Wiedergabe der Orgelwerke Bachs, seiner Vorläufer und Zeitgenossen, eingeschlossen die französischen Meister.

 

Da nun das seit 1902 bestehende Arrangement der historischen Gehäuse dieser neuen Klanggestalt nicht mehr angemessen ist, kommt es zu Umgestaltungen, die sich dem mutmaßlich ursprünglichen Zustand anzunähern suchen: das Hauptgehäuse (Oberwerk) nebst neuer Spielanlage wird an seinen vermutlich ursprünglichen Platz zurückversetzt, in angemessenem Abstand vom Rückpositiv, das nunmehr wieder zum selbstständig besetzten Teilwerk wird; das Pedalwerk mit seiner rechts und links symmetrisch verlaufenden Folge von Turm und Feld nimmt vier der sechs Register auf: zwei Principalregister und zwei Zungenstimmen; die labialen Holzregister Subbass 16' und Gedackt 8' hingegen werden hinter dem Hauptgehäuse auf gleicher Höhe mit der Oberwerkslade frei postiert.

 

zur Disposition…

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Kreuzberg/Kreuzberg3.JPGoriginales Konsolen-Schnitzwerk unter dem Hauptwerk, verm. 1714

1998

Mehrjährige Restaurierungsarbeiten an den Fresken der Kirche erfordern zwischenzeitlich den Ausbau des Pfeifenwerks, das im Jahre 1998 mit einigen Veränderungen wieder eingebaut werden kann. 


Diesen Wiedereinbau nimmt Philipp Klais, Urenkel von Johannes Klais und Sohn von Hans Gerd Klais, zum Anlass, klangliche Veränderungen vorzunehmen, die weitere dispositionelle Gepflogenheiten des rheinisch-barocken Orgelbaues aufgreifen. Die ursprünglich eher „steile“ Disposition wird abgemildert, zugleich erfahren die Klangspektren von Oberwerk und Rückpositiv eine merkliche Erweiterung und Verfeinerung.

 

zur Disposition…

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Kreuzberg/Kreuzberg2.JPGRückpositivgehäuse vermtl. von Peter Kemper (1734-1820), Baujahr unbekannt

zur Musik…

Die Kreuzberg-Orgel von 1969 – eine Orgel für Bach? 

Zehn Thesen von Andreas Arand 

1.

Bach hat sich nie darüber geäußert, wie er sich die ideale Orgel für seine Werke vorstellt. Die Mannigfaltigkeit und die hochkomplexe Struktur seiner Werke erfordern Klangvielfalt, selbständige Teilwerke und Durchhörbarkeit der Polyphonie.

 

2.

Kein Orgelbauer des 18. Und 19. Jahrhunderts hat sich in seinen Orgelentwürfen an den Werken Bachs orientiert. Die Orgeln des 19. Jahrhunderts eignen sich nur wenig für die Wiedergabe Bachscher Werke, weil Mensurierung und Intonation ihrer Register einerseits im Hinblick auf die Hervorhebung der Melodie, andererseits eine akkordische Begleitung angelegt sind.

3.

Erst die Orgelbewegung hat die Forderung erhoben, daß eine moderne Orgel in erster Linie für die Werke Bachs konzipiert werden muß. Man kann die Ästhetik orgelbewegter Register ablehnen, ihre Eignung für die Verdeutlichung polyphoner Strukturen steht aber außer Frage.

 

4.

Die Orgelbewegung sah in der norddeutschen Orgel um 1700 den für Bachs Werke am besten geeigneten Orgeltyp.

 

5.

Das Ziel der Orgelbewegung war nicht, die historischen Vorbilder nachzubauen. Sondern sie betrachtete ihre Klangeigenschaften als richtungsweisend für eine moderne Orgel, die eo ipso eine Bach-Orgel sein sollte.

 

6.

Die Orgelbauer entwickelten in 50 Jahren die Technologien zur Verwirklichung dieses Orgelideals und erreichten dabei einen sehr hohen Standard.

 

7.

Die Kreuzberg-Orgel von Hans-Gerd Klais aus dem Jahr 1969 entstand in der End- und Reifephase der Orgelbewegung und stellte den Prototyp des Ideals der Orgelbewegung dar:

  • Die selbständige Teilwerke inklusive Rückpositiv,
  • Disposition mit maximal möglicher Einbeziehung aller Registerfamilien,
  • Tonumfang, Windversorgung, Spieltisch, Stimmung ermöglichten die Wiedergabe aller Orgelwerke Bachs ohne Einschränkung,
  • Registeranzahl, Mensuren und Intonation waren dem historischen Kirchenraum äußerst geglückt angepaßt.

8.

Die Kreuzberg-Orgel war der Orgeltyp meiner Epoche. Wenn ich eine historische Orgel spiele, muß ich mich in eine vergangene Zeit zurückversetzen, die nicht meine Zeit war. Ich bin dann sozusagen auswärts, nicht zuhause. An der Kreuzberg-Orgel war ich zuhause. Auch die erhalten gebliebenen Konzertmitschnitte gehören derselben Epoche an. Angesichts der Authentizität der darin festgehaltenen unwiederholbaren Aufführungssituation verblaßt alle Idee von der Wiedererweckung eines Klanges vergangener Zeit.

 

9.

Das Zeitideal hat sich in der Kreuzberg-Orgel rein verwirklicht. Es war die Bestimmung der Kreuzberg-Orgel, daß sie zu dem Zeitpunkt entstand, in dem das Ideal der Orgelbewegung an ihrem Endpunkt angelangt war. Zwangsläufig war sie nur wenig später bereits Geschichte, Zeuge einer überwundenen Epoche, mehr und mehr unverstanden von der neuen Zeit mit ihren anderen Idealen.

 

10.

An der Kreuzberg-Orgel von 1969 habe ich 18 Jahre als Organist gewirkt. Es war meine Zeit. Inzwischen präsentiert sich die Orgel in einer weiterentwickelten Klanggestalt, die historische Momente einer rheinischen Barock-Orgel aufgreift. So spricht sie nunmehr die Sprache der heutigen Zeit, in der sich die heutigen Interpretinnen und Interpreten ausdrücken können. In den historischen Tondokumenten aus meiner Zeit aber bleibt die ursprüngliche Klangwelt erlebbar, besonders in den Konzertmitschnitten. Darunter der Bach-Zyklus, der mir am meisten am Herzen liegt.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Kreuzberg/Arand.jpgAndreas Arand

Kleine Orgelgeschichte

Die Wallfahrtskirche auf dem Bonner Kreuzberg wurde im Auftrag des Kölner Kurfürsten Ferdinand von Bayern im Jahre 1627 als Ersatz einer kleinen Wallfahrtskapelle errichtet. Von 1637 bis zur Säkularisierung 1802 wurde die Wallfahrtskirche von Bettelmönchen des Servitenordens betreut. 1714 wurde die ursprüngliche Orgel von einem namentlich unbekannten Orgelbauer errichtet. Dabei dürfte es sich wahrscheinlich um das noch heute vorhandene Hauptwerksgehäuse mit angebauter Spielanlage gehandelt haben.

 

Der Poppelsdorfer Orgelbauer Peter Kemper (1734-1820) fügte um 1780 wahrscheinlich das heute noch vorhandene Rückpositiv hinzu. In diesem Zustand hatte das Instrument 20 Register, wie aus den Inventarisierungsakten von 1802/03 hervorgeht. Dies dürfte wohl auch der Zustand der Orgel gewesen sein, der 1892 durch ein Aquarell des reisenden Engländers John Norbury belegt ist.

 

Nach einem kurzen Intermezzo der Jesuiten (1855-1872) zogen 1889 Franziskanerpatres in die Klostergebäude. Ab 1899 beschäftigte man sich mit der möglichen Anschaffung einer neuen Orgel. 1902 vollendete Johannes Klais sein opus 226, ein pneumatische Werk mit 14 Registern. Das Hauptgehäuse wurde über das spätere Rückpositiv in die Brüstung geschoben und nahm die beiden Windladen des Hauptwerkes auf, während ein neues Schwellwerk auf Sturz an der rechten Seitenwand der Empore Platz fand.

 

1928 wurden dem Schwellwerk drei weitere Register hinzugefügt. Das neue Krummhorn 8' erhielt eine 16'-Oktave für das Pedal. Der Subbass bekam eine zusätzliche Windabschwächung als Zartbass. 1933 erhielt das Schwellwerk eine Zusatzlade zur Erweiterung des Tonumfangs zur Verwendung mit der Superoctavkoppel II-I. Dieser Zustand war der Ausgangspunkt für den Neubau von 1969.