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Gummersbach-Lieberhausen, Bunte Kerke

Fernwerk sucht Hauptorgel

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen14.jpgDie Kirche mitten im Dorf

Die evangelische Kirche im Gummersbacher Ortsteil Lieberhausen schaut auf eine lange und äußerst interessante Geschichte zurück. Die ältesten Teile der romanischen Pfeilerbasilika gehen wohl auf die Zeit um 1100 zurück. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam ein gotisches Querschiff hinzu, das allerdings kaum breiter ist, als die damals schon vorhandenen Seitenschiffe. Auch der damalige rechteckige Chorabschluss bei unveränderter Tiefe des Chores stammt aus dieser Zeit. Ab dem 17. Jahrhundert kommt es zu erneuten Umbauten, Eingänge werden verlegt und Fenster vergrößert. 1870 wird schließlich der heutige dreiseitige Chorabschluss als Sakristeianbau hinzugefügt.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen16.jpgEine vermutlich vorreformatorische Kreuzigungsgruppe

Nach dem großen Erweiterungsbau in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann man gegen 1480 mit der umfangreichen Ausmalung der Kirche – daher der Trivialname "Bunte Kerke". Erstaunlich ist, dass mit dem Übertritt der Gemeinde zum Protestantismus 1586 die Fresken nicht wie üblich übertüncht wurden. Vielmehr begann man ab 1589 mit einer Restaurierung der vorreformatorischen Motive und der Hinzufügung weiterer Bilder.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen15.jpgUnd die "moderne" Variante nach 1586

Erst um 1850 wurden weite Teile der Fresken überstrichen – allerdings nicht aus religiösen Gründen. Vielmehr hatte sich im Volksmund die Redensart "So bunt as de Lieberhuser Kerke" eingebürgert. Dies empfand man wohl als despektierlich und entschloss, der ungeliebten Redensart durch Entfernen der Fresken die Rechtfertigung zu entziehen. Die Tatsache, dass man heute diese Redensart noch kennt, zeugt von der Erfolglosigkeit dieses Vorgehens. Und so begann man 1911, die Übertünchungen zu entfernen und die freigelegten Fresken zu restaurieren. Eine weitere Restaurierung erfolgte 1954.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen1.jpgBlick von der Spieltischempore

Die Geschichte der ursprünglichen Orgel ist nicht eindeutig geklärt. Klaus Saeger schreibt im Kirchenführer (Schnell & Steiner, Kunstführer Nr.1738, 1988) das Werk dem Allinghausener Orgelbauer Franz G. Nohl zu; Gabriel Isenberg nennt in seiner Orgelsammlung (https://www.orgelsammlung.de/orgelsammlung/226/) Johann Heinrich Kleine als Erbauer. Von diesem Instrument aus dem Jahr 1765 jedenfalls stammt die heute noch vorhandene Prospektfront.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen2.jpgOrganistenblick

Isenberg erwähnt auch einen Umbau durch Kleines Urenkel Daniel Roetzel 1875. Die Orgel war damals wahrscheinlich seitenspielig und stand auf einer hölzernen Empore im heutigen Chorjoch. Kanzel und Altar, die mit der Orgel eine regional übliche Einheit bildeten, müssen demzufolge um die Tiefe dieser Empore weiter in die Vierung hineingeragt haben. Vom damaligen Werk ist nichts erhalten.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen5.jpgDer originale Faust-Spieltisch

Anlässlich der Restaurierung der Kirche 1911 bis 1913, während derer auch die Fresken wieder freigelegt wurden, wurde die Empore entfernt, Altar und Kanzel zurückgeschoben und die Prospektfront nach Entfernung des mechanischen Werkes in die Wandöffnung in der Chorhauptwand von 1480 eingepasst.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen4.jpgOrigianle Registerwippen

Hinter dieser Front im Obergeschoss der 1870 angefügten Sakristei baute Paul Faust aus Oberbarmen eine der damaligen Technik entsprechende Orgel mit 12 Registern auf 2 Manualen und Pedal. Das ganze Werk steht hinter einer gemeinsamen Schwellfront, die wiederum direkt hinter der historischen Front steht. Die heutigen Prospektpfeifen sind nur Atrappen aus Rundhölzern.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen9.jpgRelais zum Wechsel von elektrischer auf pneumatische Traktur

Während die Orgel rein pneumatisch ausgeführt wurden, musste die Traktur elektrisch realisiert werden, da für den Spieltisch nach Entfernung der Empore nur ein Standort auf der gegenüberliegenden Westempore infrage kam. So findet sich im Hintergrund der Orgel ein mannshoher Relaisrahmen, in dem das Signal vom rein-elektrischen Spieltisch auf pneumatisch umgesetzt wird. Von dort aus bis an die Kegelladen verläuft eine klassische pneumatische Traktur mit Bleiröhrchen.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen10.jpgRegisterrelais

Die pneumatische Koppelanlage (Membrankoppel) befindet sich konsequenterweise nicht im Spieltisch, sondern in besagtem Relaisrahmen. Eine vergleichbare Anlage findet sich auch in der Abteikirche Maria Laach (Georg Stahlhuth 1910). Auch die große Orgelanlage im Erfurter Dom (Klais 1906) verwendete dieses System für das Fernwerk im Chorraum.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen11.jpgUnabhängige Spannungsversorgung anno 1913

Offensichtlich gab es damals entweder noch gar keinen oder nur sporadisch Strom in Lieberhausen. Jedenfalls wurde die Traktur damals aus einem Akkumulator gespeist, der sich heute noch in einem Vorraum zur Orgel findet. Am Spieltisch gibt es auch heute noch ein Schildchen mit einer Lade-Anweisung für diesen Akkumulator. Auch die elektrisch betriebene Kalkanten-Klingel, die im Bedarfsfall den Bälgetreter nach der Predigt wecken sollte, ist heute noch betriebsfähig.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen3.jpgBatteriepflege

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen13.jpgKalkantenklingel in der Orgel

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen12.jpgKlingelknopf im Spieltisch

Das Instrument von Faust hat das vergangene Jahrhundert weitestgehend im Originalzustand überstanden. Leder- und Elektroteile unterliegen natürlich einem fortdauernden Verschleiß und bedurften einer gründlichen Überarbeitung bzw. Erneuerung. Ebenso hatten die Stimmeinrichtungen der meisten Pfeifen gelitten und wurden gerichtet oder vollständig erneuert. Die gesamte Spieltischelektrik wurde erneuert, der Spieltisch gereinigt und aufgefrischt.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen8.jpgBlick auf den Diskant des restaurierten Pfeifenwerkes, am oberen Bildrand die Schwellwand von innen

Das gesamte Werk wurde gründlich gereinigt und vom Schimmel befreit. Die Schwellersteuerung wurde vollständig erneuert, so dass jetzt ein gewohnter Einsatz des Schwellers möglich ist – und sich die Schwellwand beim Ausschalten der Orgel selbsttätig öffnet. Dies ist für eine gute Stimmhaltung unbedingt notwendig.

 

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen6.jpgBass des I. Manuals

_klais/bilder/fotos/Artikel/Lieberhausen/Lieberhausen7.jpgBass des II. Manuals, dahinter rechts das Pedal (hier unsichtbar)

So ist die Faust-Orgel in Lieberhausen heute wieder ein kostbares Schmuckstückchen in einer historisch überaus bedeutenden Kirche. Wir wünschen ihr und der Gemeinde fröhliches Erklingen für viele weitere Jahre!