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Weissenhorn, Mariä Himmelfahrt

Von München nach Weissenhorn - zum Wiederaufbau der Steinmeyer-Orgel in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt

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  1. Die Orgel der Münchener Musikhochschule

Jede Orgel wird bei Ihrer Erbauung in Klang und Erscheinungsbild neu definiert: Beide Dimensionen des Musikinstruments "Orgel" spiegeln das Verstehen Ihrer Zeit wider. Dies zeigt auch die Orgel im großen Saal der Musikhochschule München, 1959 erbaut von der Oettinger Werkstatt G. F. Steinmeyer als Opus 1965. Bei diesem Instrument zeigt sich auf exemplarische Weise die Ästhetik der Orgelbewegung, aus heutiger Sicht erkennen wir aber auch Elemente, die der Tradition der nachromantischen Orgel entstammen. So wurden wie selbstverständlich eine Orgel nach den damals üblichen Vorstellungen mit dem bewährten elektro-pneumatischen System der Taschenlade gebaut, ein Freipfeifenprospekt umhüllte das in eine Nische gestellte Instrument. Die Klanggestaltung zeigt alle Elemente des Neo-Barock, steil und obertonreich disponiert. Angesichts der in historischen süddeutschen Orgeln meist sparsam gebauten Pedalwerke wirkt dabei das Pedal mit seinen 17 Stimmen besonders reich, ja üppig ausgebaut.

Dieses Instrument prägte fast 40 Jahre lang die Ausbildung der Kirchenmusik in München. Zuletzt wurde die noch einmal in den 1980iger Jahren umgebaut; dabei wurden ein neuer fahrbarer Spieltisch mit Setzerkombination und vorsichtige Korrekturen in der Disposition vorgenommen.

Bekannte Namen wie Friedrich Högner, Heinrich Wissmeyer, Harald Feller, Karl Richter oder Franz Lehrndorfer wirkten hier. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde die Orgel durch die Aufnahmen mit Improvisationen über bekannte Lieder durch Franz Lerndorfer. Unzählige Kirchenmusikstudenten bekamen an dieser Orgel ihr künstlerisches Rüstzeug.

II. G. F. Steinmeyer und die Orgelbauwerkstatt in Oettingen/Ries

Georg Friedrich Steinmeyer gründete 1848 seine Werkstatt in Oettingen. In einer Zeit des stilistischen Umbruchs baute er, in seiner Zeit revolutionär, zunächst mit sehr wenigen Mitarbeitern. Nach wenigen Jahren schon expandierte der Betrieb, weil seine Philosophie einer arbeitsteiligen Manufaktur, der technischen Realisierung mit mechanischen Kegelladen und einem frühromantischen Klangbild, den stilistischen und musikalischen Nerv der Zeit traf. Er wurde zum prominenten Orgellieferanten vor allem in Bayern. Seine Werkbücher und das Archiv führen fast alle bedeutenden Kirchen und Konzertsäle auf. Schnell wurde die Steinmeyer-Orgel aber auch weit über Bayern hinaus bekannt mit großen Werken bis in außereuropäische Ausland. Das Steinmeyer-Archiv ist heute eine wichtige Quelle der Orgelbaugeschichte, finden sich doch hier häufig Beschreibungen von Vorgängerorgeln, die zur einzigen Quelle gehören.

Ganz auf der Höhe der Zeit wurden nach 1890 auch pneumatische Systeme gebaut. Mit der Übernahme der Nürnberger Werkstatt von Johannes Strebel wurde das patentierte Windladensystem der Taschenlade frei. Dieses hatte Friedrich Witzig erfunden und sich 1896 patentieren lassen. Für das Haus Steinmeyer sollte dieses Windladensystem für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägend werden. Die liegenden und der stehenden Taschenladen nach dem System Witzig wurden gleichermaßen gebaut, andere Orgelbauer wie Franz Borgias Maerz folgten ebenso diesem System.

Diese Windladen, zunächst pneumatisch als Abluftsystem, später mit Hilfe von vorgelegten Reisner-Magneten auch sehr funktionssicher elektrifiziert gebaut, prägte die Steinmeyer-Orgel bis in die 1960iger Jähre. Prominentes Beispiel für dieses System war die 1928 gebaute Monumentalorgel im Passauer Dom als größte Kirchenorgel der Welt das Kulturdenkmal schlechthin der Zwischenkriegszeit.

Die große Orgel in der Münchener Musikhochschule stellt sicherlich einen markanten Schlusspunkt dieser Epoche dar. Auch für das Haus Steinmeyer ging in dieser Zeit die große Schaffensperiode der spätromantisch-impressionistischen Orgel unwiderruflich in eine stilistisch neu geprägte Phase über. So wurde im gleichen Jahr wie die Orgel der Musikhochschule, die große Hauptorgel, die Marienorgel, in der Basilika Ottobeuren mit mechanischer Spieltraktur und Schleifladen gebaut. Gerade diese beiden Instrumente zeigen schlaglichtartig die Bandbreite und Kontraste dieser Übergangszeit. Die Orgelbautradition der Oettinger Werkstatt Steinmeyer hat über 150 Jahre den Orgelbau in Bayern geprägt. Diesen Stil begreifen und schätzen zu lernen, wird unsere Aufgabe in den nächsten Generationen sein.

 

III. Die Umsetzung der Orgel nach Weissenhorn

 

Orgeln sind einzeln und sehr individuell gebaute Musikinstrumente. Einmal definiert, sind sie in klanglicher und architektonischer Form festgeschrieben, Organisten wie Betrachter müssen das akzeptieren. Die Orgel ist daher nur schwer und nur mit Verlust an ursprünglicher Authentizität veränderbar. Dennoch gibt es immer wieder Wünsche nach Veränderungen, meist dann, wenn die Orgel nicht mehr ganz neu, aber auch noch nicht als erkennbar historisch gilt. Auch das Instrument in München wurde bereits in der 1980iger Jahren geänderten Zeitströmungen angepasst. Sicherlich war der Spieltisch von 1959 stark benutzt und verbraucht, ja verschlissen, ein neuer fahrbarer Spieltisch bot die Möglichkeiten der modernen Setzerkombination. Auch die Disposition wurde in Details an die neuen Anforderungen französisch geprägter Symphonik angepasst oder angenähert.

Keine Orgel ist dazu fähig, immer neue technische oder musikalische Wünsche zu erfüllen. Das kann und konnte nur ein aktuelles Instrument.

 

Die Steinmeyer-Orgel wurde in München aufgegeben und eingelagert, darauf wartend, wie eine schlafende Prinzessin wachgeküsst und neu geschätzt zu werden.

 

Ein vorhandenes Instrument in all seinen Bestandteilen und technischen Zusammenhängen in ein neues Zusammensein zu gießen, ist schwierig, weil die räumlichen Dimensionen und akustischen Voraussetzungen in Räumen immer differieren: In München in eine Wandnische eingebaut verlangte die Empore in der Pfarrkirche von Weißenhorn ein umhüllendes Gehäuse, die reliefartige Fassade in München mußte zu einem plastisch erlebbaren Schrein umgestaltet werden, die trockene Akustik des Konzertsaals wurde zu einer gleichmäßigen Hörbarkeit im Nachhall einer großen Kirche. Das alles mit den vorhandenen technischen Bauteilen zu bewerkstelligen, verlangt eine sorgfältige Planung. Diese geht von den sehr komplexen Vorgaben bereits definierter Windladen und Pfeifen aus und muß in den gewünschten "Rahmen" passen, ohne das 1959 definierte Instrument in Frage zu stellen.

So orientiert sich der Gehäuseentwurf an Vorgaben, die bereits in der Kirche vorhanden sind, etwa die neo-romanischen Dekorelemente, die formal aufgegriffen und in eine moderne Sprache übersetzt wurden. Auf dem Hauptgesimskranz ruhen alle Windladen von Hauptwerk, Pedal und Schwellwerk, fast den ganzen Mittelbereich der Empore einnehmend. Die Basisprinzipale von Pedal und Hauptwerk bilden dabei die Prospektpfeifen, deren Pfeifenkörper für die Münchener Orgel gebaut wurden, deren Fußlängen sich aber jetzt der neuen Fassade unterordnen.

Um dem Kirchenchor im Mittelbereich der Empore möglichst viel Platz zu geben, wurde das Untergehäuse sehr stark eingezogen, statisch in einer sehr komplexen Konstruktion eingebunden. Im Unterbau ruhen die beiden Windladen vom Positiv, das auch als Begleitwerk für den Chor fungieren kann. Auf der kleinen Zwischenempore in der Turmnische wurde die Balganlage mit dem Magazinbalg aus der Vorgängerorgel eingebaut. Der erneuerte Spieltisch ist als fahrbarer Spieltisch erhalten geblieben.

Alle technischen Elemente der Orgel wurden restauriert und weitestgehend übernommen. Lediglich die Prospektladen wurden neu gebaut, die pneumatischen Taschen der Windladen wurden neu beledert, die Reisner-Magnete auf Funktionssicherheit überprüft und gesäubert. Die gesamte Verkabelung der Orgel wurde erneuert und an heutige Elektronormen angepasst. Es war Ziel, die Identität der Steinmeyer-Orgel soweit als möglich zu erhalten.

Die Umdisponierungen der Orgel im Hauptwerk sind rückgängig gemacht und durch Register aus der Sandtner-Orgel aus Weissenhorn besetzt. Das gesamte übrige Pfeifenmaterial der Orgel wurde sorgfältig gereinigt und repariert, um gerade auch im klanglichen Bereich den besonderen Charme dieser Orgel zu erhalten. Auch wenn Klang nicht wirklich zu beschreiben ist, der Wechsel in die große Akustik von Weißenhorn hat der Orgel gut getan.

 

Restauriert und wiederaufgebaut von

Johannes Klais, Bonn 2004 als Opus-Nr.: 1827

 

Ausführende:

 

Konzeption und Konstruktion Dr. Hans-Wolfgang Theobald
Montageleitung: Günter Schumacher
Montage: Ulrich Busacker, Sebastian Geintzer
Spieltisch: Hubert Lichtenthal
Intonation: Frank Retterath

Sachberatung: P. Stefan U. Kling Opraem., Diözese Augsburg
Architekturbüro Joachim Wolf, Bibertal

Gehäuse: Schreinerei Karl Eiband, Ettlishofen

 

Das große Gehäuse aus massiver Eiche, von der Schreinerei Eiband in Bibertal gebaut, umhüllt die alte, neue Steinmeyer-Orgel. Diese wirkt mit dem liebevoll gearbeiteten und geräucherten Holz des Gehäuses das architektonische Pendant zum Hochaltar. Funktion und Klang entsprechen seinem Erbauer von 1959. Ein Musikinstrument ist wiedererstanden, das sich jetzt darauf freut, musikalischer Mittelpunkt einer singenden und hörenden Gemeinde zu sein.

 

Dr. Hans-Wolfgang Theobald