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Bonn, St. Elisabeth

Zum 100. Geburtstag der Orgel hier nun der längst überfällige Artikel:  

 

Die Planung der St.-Elisabeth-Orgel lässt sich bis in das Jahr 1909 zurückverfolgen. Den Plan eines zweimanualigen Instruments mit 32 Registern erweiterte man auf den eines dreimanualigen mit 48 Stimmen. Dieses Werk ging im Oktober 1909 bei der Bonner Orgelbau-Anstalt Joh. Klais in Auftrag und wurde wiederum - noch während der Bauzeit - um ein viertes Manual, das für eine Chororgel (11 Register) vorgesehen war, ergänzt. Die große Orgel des Erfurter Domes (Klais, 1906, 83 Register) galt hier mit der Trennung von Hauptorgel (72 Register auf der Westempore) und Chororgel (11 Register hinter dem Hochaltar) offensichtlich als Vorbild.

 

zur Disposition...

 


 

 

 

Die Finanzierung dieses Instruments zwang zu einem Bau in Abschnitten. Zunächst entstand die komplette Spielanlage mit 23 Stimmen, die am 1. September 1910 zum ersten Male erklangen. Im Dezember 1911 konnte ein zweiter Bauabschnitt mit der Einweihung der Hauptorgel mit nunmehr 48 Registern abgeschlossen werden. Johannes Klais (1852 bis 1925) erstellte ein vollpneumatisches Werk nach den Dispositionsprinzipien der späten "Deutschen Orgelromantik". Das Instrument zeigt einen "eigenartigen" Werkaufbau: Lingualstimmen, Prinzipal-, Flöten- und Streicherchöre sind unter besonderer Berücksichtigung der Oktavkoppeln vollständig ausgebaut. Klais verwirklichte in den Spielhilfen die Vorstellungen Albert Schweitzers (1906 - "Deutsche und französische Orgelbaukunst und Orgelkunst"), die sich in der "Elsässischen Orgelreform" widerspiegeln.

 


 

 

 

Die Technisierung der Spielanlage wird vor allem den Erfordernissen spätromantischer Orgelmusik (z. B. Max Reger) gerecht. Der Gesamtklang des Werkes widerlegt das Schlagwort von der "Schrei und Brüllorgel" des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Tutti, das sich aus den kräftigen Stimmen erstellen lässt, zeigt die notwendige Gravität in angenehmer Zurückhaltung. Die Stimmen verschmelzen durch die entsprechenden Mensuren und die wenigen Aliquote in den gemischten Registern. Eine Besonderheit stellen die drei Hochdruckstimmen (HD) des III. Manuals dar. Diese Register werden mit wesentlich mehr Winddruck gespeist und verleihen der Orgel eine Klangkraft, wie etwa die Chamade der französischen Orgel.

 


 

 

 

Der dritte Bauabschnitt, der die Chororgel betraf, blieb zunächst unberücksichtigt. Finanziell hinderte der erste Weltkrieg dieses Vorhaben (Gelder gingen in Kriegsanleihen verloren), ideell die einsetzende "Deutsche Orgelbewegung" um 1920. Diese verwarf die Pneumatik als Trakturideal, die deutsch-romantischen Dispositionen und die Trennung von Haupt- und Chororgeln. Der barocke Orgeltypus mit seinem Werkprinzip wurde wieder bevorzugt. Erst im Jahre 1989 konnte das Fernwerk (Chororgel) nach den Plänen von 1910 erstellt werden. Durch die Verwendung von original Klais'schen Orgelteilen abgelegter Instrumente aus der Zeit um 1910 gelang ein kleines Werk, das den spätromantischen Klangvorstellungen entspricht und zugleich den liturgischen, von der Liturgiereform geprägten Ansprüchen genügt.

 


 

 

Pfeifenwerk des I. Manuals im linken Untergehäuse

 

Nach der Komplettierung des Werkes durch das Fernwerk/Chororgel erfolgte 1990 eine grundlegende Renovierung der Hauptorgel. 2002 erfolgte der Einbau einer elektro-pneumatischen Setzer-Anlage nach den Vorstellungen des Elisabeth-Organisten Winfried Krane. Die Erbauerfirma führte die Arbeiten mit Präzision und künstlerischem Einfühlungsvermögen durch. Als pneumatische und elektropneumatische Doppelorgel im Klang- und Trakturideal der späten Romantik stellt sich die Elisabethorgel nunmehr als einzigartig im Rheinland dar.

 


 

 

Pneumatische Traktur zum III. Manual

 

Die Gehäusegestaltung war durch den Architekten der Kirche, Prof. Ludwig Becker (1855 bis 1940), vorgeschrieben. Die Bildhauerarbeiten übernahm Prof. Georg Busch (1862 bis 1943), der auch den Herz-Jesu-Altar in der Kirche gestaltete. Die von Becker vorgegebene Raumknappheit auf der Empore zwang Johannes Klais, relativ viele Pfeifen in den Prospekt aufzunehmen. Im oberen Bereich wurden die farbig gestalteten Holzpfeifen zum Gehäuseersatz. Die der Architektur der Kirche nachempfundenen Rundbögen im unteren Bereich sowie die Ornamentik der Verzierungen lassen die Verbindung zur Gesamtarchitektur des Kirchbaus und seiner Innenausstattung deutlich werden. Das Fernwerk/Chororgel wurde nach dem Erfurter Vorbild hinter dem Hochaltar installiert und veränderte die Innenansicht der Kirche nicht. Mit Kirchbau, Innenausstattung und Orgel entstand ein in der späten Romantik idealtypisches Gesamtkunstwerk.

 


 

 

Pneumatische Traktur und Koppelanlage unter dem Emporenboden

 

Die Kirche hat die Weltkriege nahezu unbeschadet überstanden, die Inneneinrichtung entging den "Bilderstürmern" der 50er und 60er Jahre und die Orgel überlebte den Prinzipienstreit der Orgelästhetik des 20. Jahrhunderts um die "richtige" Orgel (viele romantische Instrumente wurden vernichtet oder umgebaut). Sie ist ein Denkmal deutsch-romantischer Orgelbaukunst, weil sie zu den wenigen erhaltenen Instrumenten ihrer Zeit gehört.

 

Winfried Krane, Kurator und Organist an St. Elisabeth

 


 

10.000 Bälgchen und 30.000 Meter Bleirohr...

 

geöffnete Spieltisch-Rückseite

 

Melodiekoppel (Diskantkoppel I an II)